

Episode Nr. #166
02.12.2025
Es gibt diese Tage, da ist objektiv nichts Dramatisches passiert – und trotzdem fühlt sich alles anstrengend an.
Das Geschirr in der Küche klappert lauter als sonst.
Das Geräusch der Nachbarn über dir nervt dich sofort.
Eine kleine Bemerkung trifft dich mitten ins Herz.
Und irgendwo in dir taucht der Gedanke auf:
„Was stimmt nicht mit mir? Warum bin ich so empfindlich?“
Später schaust du auf den Kalender.
Ah. Kurz vor der Periode. Wieder mal.
Wenn du feinfühlig oder vielleicht hochsensibel bist, kennst du diese Tage wahrscheinlich besonders gut. Und genau darum geht es in diesem Beitrag: Darum, wie Zyklus, Hormone und Hochsensibilität zusammenspielen – und wie du liebevoller mit dir umgehen kannst, wenn dein System „zu laut“ wird.
Als sensible Frau neigst du vielleicht dazu, alles bei dir zu suchen:
„Ich muss mich mehr zusammenreißen.“
„Ich übertreibe wieder.“
Aber ein Teil dessen, was du erlebst, ist ganz nüchtern betrachtet: Biologie.
Dein Zyklus besteht grob aus mehreren Phasen – wichtig sind vor allem:
Die Zeit nach der Blutung: Viele spüren hier zunehmend mehr Energie, Klarheit, Antrieb.
Rund um den Eisprung: Für manche fühlt sich diese Phase stabiler und „heller“ an.
Die Tage vor der Periode (Lutealphase): Hier taucht oft das auf, was wir unter PMS kennen: Stimmungsschwankungen, Gereiztheit, Müdigkeit, mehr Zweifel, Tränen – und eine erhöhte Empfindlichkeit auf Reize.
Medizinisch geht man heute nicht davon aus, dass bei PMS immer völlig „falsche“ Hormonwerte vorliegen. Es ist eher so, dass dein Körper – und vor allem dein Gehirn und dein Nervensystem – sehr sensibel auf diese natürlichen Schwankungen reagieren können.
Du bildest dir also nichts ein.
Dein System arbeitet. Und du spürst es.
Wenn du feinfühlig bist, ist dein Nervensystem sowieso schon wie ein sehr fein eingestelltes Instrument.
Du nimmst:
Stimmungen in Räumen
Zwischentöne in Gesprächen
Geräusche, Gerüche, Licht
und eigene innere Signale
intensiver wahr als viele andere.
Wenn jetzt die hormonellen Schwankungen der Zyklusphase dazukommen, kann sich das anfühlen, als würde jemand den Lautstärkeregler nach oben drehen:
Geräusche werden schwerer erträglich
Konflikte fühlen sich bedrohlicher an
Selbstzweifel klingen lauter
Müdigkeit und Reizbarkeit nehmen zu
Das bedeutet nicht, dass du „zu sensibel“ bist.
Es bedeutet: Deine Sensibilität reagiert auf eine Umgebung (innen wie außen), die gerade mehr fordert, als dein System gut ausgleichen kann.
Allein das zu verstehen, kann einen Unterschied machen.
Statt „Was stimmt nicht mit mir?“ darfst du denken:
„Ah, okay. Ich bin in einer Phase, in der ich mir extra freundlich begegnen darf.“
Vielleicht kennst du Gedanken wie:
„Ich bin vor der Periode einfach unausstehlich.“
„Kein Wunder, dass andere genervt sind.“
„Ich kann ja selbst kaum mit mir sein.“
Diese Sätze tun weh – und sie verstärken Stress noch zusätzlich.
Denn damit machst du aus einem körperlich mitbedingten Zustand eine Charakterfrage.
Was, wenn du stattdessen neugierig wärst?
Wie fühle ich mich normalerweise in dieser Zyklusphase?
Welche Situationen bringen mich dann besonders schnell aus der Balance?
Was würde ich einer Freundin sagen, die sich genauso fühlt?
Wahrscheinlich wärst du mit ihr milder als mit dir selbst.
Du musst dein Leben nicht komplett umkrempeln, um besser mit deinem Zyklus und deiner Sensibilität umgehen zu können. Oft sind es kleine, bewusste Veränderungen, die viel ausmachen.
Ein einfacher Start: ein kleines, freundliches Zyklus- und Stimmungstagebuch.
Zum Beispiel:
Tag im Zyklus (oder grob: „früh im Zyklus“, „Mitte“, „kurz vor Periode“)
Stimmung (z. B. von 1–5)
Empfindlichkeit (Lärm, Nähe, Kritik – was gerade auffällt)
Besonderheiten („heute sehr dünnhäutig“, „viel Rückzug gebraucht“, „überraschend stabil“)
Es geht nicht darum, perfekt zu tracken.
Es geht darum, Zusammenhänge zu entdecken – und zu merken:
„Okay, es ist kein Wunder, dass ich mich heute so fühle.“
Das allein nimmt schon Druck.
In Phasen, in denen du weißt, dass dir alles schnell zu viel wird, kannst du versuchen, dein „Reizbudget“ im Blick zu behalten:
Weniger Social Media, Nachrichten und Diskussionen
Wenn möglich: keine großen Konfliktgespräche auf diese Tage legen
Aufgaben wählen, die eher routiniert sind, statt Maximum an Kreativität zu verlangen
bewusst kleine Pausen einbauen – 3 Minuten Fenster, Tee kochen, tief atmen
Du bist nicht schwierig, wenn du dir das erlaubst.
Du bist klug.
In sensiblen Phasen reagiert dein Nervensystem schneller mit Alarm.
Was helfen kann:
Atemübungen: z. B. länger ausatmen als einatmen oder 4-7-8-Atmung
Sanfte Bewegung: Spazierengehen, Yin-Yoga, leichtes Dehnen
Körperkontakt: Hand auf dein Herz, Wärmflasche auf dem Bauch, eine Decke, die dich „einrahmt“
Sinnesanker: Musik, die dich trägt – Düfte, die dich beruhigen – ein Ritual am Abend (Tagebuchsatz, Tee, Kerze)
Du musst daraus kein neues To-do machen.
Such dir höchstens ein oder zwei Dinge, die sich leicht anfühlen – und erinnere dich in deinen empfindlichen Tagen ganz bewusst daran.
Ein schwieriger Punkt:
Wie sprichst du mit Partner:innen, Familie oder Kolleg:innen darüber?
Du musst niemandem deine komplette Zykluskurve erklären.
Aber du darfst kleine Sätze benutzen wie:
„Ich bin heute etwas dünnhäutiger, das hat mit meinem Zyklus zu tun – es liegt nicht an dir.“
„Ich merke, ich brauche gerade mehr Rückzug, um nicht gereizt zu reagieren.“
So entsteht weniger Missverständnis – und du musst dich nicht als „unlogisch“ oder „übertrieben“ labeln lassen.
Es gibt Situationen, in denen dein Zyklus dich so stark einschränkt, dass es wichtig ist, genauer hinzuschauen.
Zum Beispiel, wenn:
du jeden Monat starke Stimmungseinbrüche hast
du dich vor der Periode kaum wiedererkennst
du regelmäßig sehr dunkle Gedanken hast
Arbeit, Beziehungen oder Alltag immer wieder massiv leiden
Dann kann es sein, dass du nicht „ein bisschen PMS“, sondern etwas in Richtung PMDD (prämenstruelle dysphorische Störung) erlebst – eine ernstzunehmende, behandlungsbedürftige Belastung.
In solchen Fällen ist es wichtig, dir medizinische und/oder psychotherapeutische Unterstützung zu holen.
Seriöse Anlaufstellen können sein:
deine gynäkologische Praxis
eine hausärztliche Praxis mit Schwerpunkt Frauengesundheit
psychotherapeutische Fachpersonen
spezialisierte Hormon- oder Frauengesundheits-Zentren
Viele große Kliniken und Fachgesellschaften empfehlen heute eine Kombination aus:
Lebensstil-Anpassung (Schlaf, Stress, Bewegung)
Psychotherapie
und – wenn passend – medikamentöser Unterstützung
Das ist kein „Versagen“.
Es ist ein Zeichen von Selbstfürsorge, wenn du dir Hilfe holst, statt dich jeden Monat durch dieselbe Hölle zu kämpfen.
Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft dieses Textes:
Du bist nicht kompliziert.
Du bist fein eingestellt.
Dein Körper, dein Nervensystem und dein Zyklus arbeiten zusammen.
Manchmal harmonisch.
Manchmal holprig.
Du darfst lernen, dich in all dem zu begleiten – statt dich zu bekämpfen.
mit Verständnis statt Selbstkritik
mit kleinen Anpassungen statt brutalem Durchziehen
mit Unterstützung, wenn es allein zu viel ist
Und wenn du magst, erzähl mir:
In welcher Zyklusphase fühlst du dich am verletzlichsten?
Was hilft dir dann – auch nur ein kleines bisschen?
Schreib mir gern auf Instagram oder per Mail.
Du musst das nicht alleine sortieren. 🧡